Hamlet – der Klassiker von Wilhelm Shakespeare an der Schaubühne Berlin

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Für mich standen nordische Erzählungen bisher mehr im Zusammenhang mit heidnischen Göttern, als mit dramatischen Geschichten. Eine Kollegin möchte mich jedoch eines Besseren belehren und so besuchten wir die Inszenierung von Shakespeares „Hamlet“ an der Schaubühne Berlin. Der Regisseur wagt sich mit einem neuartigen Konzept an das klassische Drama heran und lässt die meisten Rollen in doppelter Besetzung auftreten. Wird Hamlet den Erwartungen gerecht werden?

Hamlet als spannende Neuinszenierung zwischen Blut, Intrigen und Gesellschaftskritik

Die Handlung geht, lasse ich mir sagen, auf eine mittelalterliche nordische Erzählung zurück und stellt Prinz Hamlet in den Mittelpunkt, der die Ermordung seines Vaters rächen möchte. Zuerst mimt dieser den Wahnsinnigen, doch bald vermischen sich Fantasie und Realität und es beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel, in dem der Jäger selbst zum Gejagten wird…. ich bin sehr gespannt, denn im ersten Moment habe ich ein packendes Familiendrama im Sinn.

Als das Stück losgeht, bekomme ich es mit einer geballten Ladung an Dunkelheit, Dreck und Aggressivität zu tun! Allein schon die erste Szene der Beerdigung des Vaters ist düster und voller Abgründe. Lars Eidinger betritt dann auch schon die Bühne. Für mich wirkt er bereits jetzt halb wahnsinnig, obwohl noch nicht viel passiert außer der Familienzeremonie.

Urs Jucker, Franz Hartwig, Jenny König, Robert Beyer, Lars Eidinger, Sebastian Schwarz (#1)

Urs Jucker, Franz Hartwig, Jenny König, Robert Beyer, Lars Eidinger, Sebastian Schwarz (#1)

Als Wanderer zwischen den Welten, mit fettigen Haaren und einem flatternden Blick tritt er auf. Gebannt sehe ich seiner Performance zu, die irgendwo zwischen Panikattacken, Blut und Plastikfolien angesiedelt ist. Die Show der Selbstinszenierung als wahnsinniger Thronerbe steht ihm ganz gut – die Darbietung wirkt glaubhaft, manchmal weiß ich auch als Zuschauer die eigene Fantasie und dargebotene Realität nicht klar voneinander abzugrenzen.

Auffällig ist, dass Eidinger vieles zu improvisieren scheint – und dabei für fortlaufende, manchmal jedoch irritierende, Überraschungen sorgt. Manchmal springt er gar ins Publikum oder stellt den Zuschauern Fragen – jedes Mal erschrecke ich mich ein wenig und frage mich, ob die Schauspieler dann wieder zurück ins Spiel finden. Doch nicht nur der Hauptdarsteller erzeugt auf der Bühne eine Spannung, die für mich fast mit Händen zu greifen ist – alle Darsteller liefern eine intensive Inszenierung ab, in der sie auch mal binnen von Sekunden die Rollen wechseln: Judith Rosmair als fesche Mama Hamlets wird in wenigen Sekunden zur tugendhaften Ophelia, Sebastian Schwarz wechselt vom hilfsbereiten Kumpel Hamlets zum gerissenen Spitzel Güldenstern und Ophelias Bruder, der von Stefan Stern gespielt wird, wird zu Hamlets Kollegen Rosenkranz.

Urs Jucker, Jenny König (#2)

Urs Jucker, Jenny König (#2)

Bestürzt beobachten meine Kollegin und ich die Szene zwischen Ophelia und Hamlet, als er versucht, ihr an die Wäsche zu gehen, und nichts weiter übrighat als „Tschuldigung“. Als ob ihn dies wieder in Unschuld waschen würde, schäumt meine Kollegin. Ihrer Meinung nach hat der Regisseur hier gekonnt einen Bogen zur heutigen Gesellschaft geschlagen. Das dramatische Ende verfolgen wir gespannt mit – zwar würde ich sagen, dass es das Theater nicht neu erfindet, aber doch an Dramatik kaum zu überbieten ist!

Nach der Aufführung von Hamlet an der Schaubühne unterhalten wir uns und ziehen ein Fazit. Die gesamte Inszenierung von Hamlet kam mir an der Schaubühne sehr modern vor, fernab jeglicher Epochen-Beschränkungen oder altbackenen Kostümierungen. Die Szenerien waren abwechslungsreich und sehr neuzeitlich, von Shakespeares melodramatischer Sprache ist manchmal nicht viel übriggeblieben. Empfehlenswert für alle, die Hamlet mal als neuzeitlichen, modernen Wahnsinnigen erleben möchten und ein intrigantes Familiendrama à la Game of Thrones als Theaterstück anschauen möchten.


Bildnachweis: alle Fotos © Schaubühne Berlin /Arno Declair

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